MIT-GEFÜHL und EIGEN-LIEBE

Ich bemerke bei meinen Gesprächen immer wieder grosse Unsicherheit und Angst vor Wesen und Mächten, die man nicht begreifen und schon gar nicht kontrollieren kann. Mit diesen Zeilen will ich nicht aufzeigen, wie man diese Wesen und Mächte respektive Unsicherheiten und Ängste loswerden kann. Kurz: Mitgefühl für Alles und Jeden befreit.

Ein tibetischer Mönch sagte einmal: «Es gibt wohl keinen grösseren Akt der Barmherzigkeit, als einem Menschen dabei zu helfen, auf eine gute Art zu sterben». Aber wie kann ich das, wenn ich mich davor fürchte, mich mein ganzes Leben lang nicht darum bemühte, das Sterben und den Tod zu verstehen? Da ich weiss, dass ich mich dem Tod nicht entziehen kann, sehe ich keinen Sinn darin, mich vor ihm zu fürchten. Es ist wie beim Kleider wechseln, wenn diese gebraucht oder alt sind. Ich sehe den Tod nicht als letztes, definitives Ende.

Warum beginne ich diesen Text über Angst vor Wesen und Mächten überhaupt mit den Themen Tod und Sterbesangst? Nun, wer seine Ängste tiefer betrachtetet, kommt immer auch auf Angst vor dem Sterben. Und: So lange wir UNSERE ÄNGSTE NICHT ERKENNEN, KÖNNEN WIR NICHT IN WAHRHAFTEM MITGEFÜHL SEIN.

Der Sinn des Lebens ist Vollkommenheit zu erlangen, vollkommenes Mitgefühl und Liebe. Der Sinn des Lebens liegt bereit, liegt vor unserer Haustür, vor unserer Nasenspitze. Wer das erkennt, wird Mitgefühl fühlen, sehen und leben.

Deshalb empfehle ich dringen, jeden Tag eine Übung zu Mitgefühl oder eine Meditation, die Dich dem eigenen Mitgefühl näherbringt, zu zelebrieren: Wie fühlt sich Mitgefühl an? Wie spüre ich es? Was bedeutet es für mich? Was für andere? Was für eine Farbe, für einen Klang hat es? Oder sprich das Mantra des Mitgefühls: OM MANI PADME HUM (ausgesprochen: Om Mani Peme Hung). Es verkörpert den Segen und das Mitgefühl des Buddhas Avalokiteshvara.

Mitgefühl ist die Fähigkeit, mit einem anderen Menschen zu fühlen, ohne in das Leid des anderen hineingezogen zu werden. Mitgefühl sollte ein Leben lang, dauerhaft und konstant weiterentwickelt werden. Aber: Mitgefühl sollte nicht mit allzu subjektiv menschlichem Mitleid gleichgestellt werden.

Mitgefühl ist vielmehr die gelebte, verinnerlichte Einstellung, dass von allen Lebewesen keines wichtiger oder unwichtiger als ein anderes ist – gleich ob Mutter, Vater, Kind, Fremder, Gott oder Teufel. Du fühlst weder Anziehung zu einem noch Ablehnung gegen ein anderes Wesen; ob sie nahe oder fern sind. Alle werden als gleichwertig betrachtet.

Wie kann ich im Alltag Mitgefühl erlernen?

Schiebe Vorurteile beiseite Wenn Du einem Menschen mit Vorurteilen begegnest, wirst Du mit allergrösster Wahrscheinlichkeit vieles an diesem Menschen übersehen und Dich von einem voreingenommenen, inneren Bild leiten lassen und nicht vom dem, das Du eigentlich wahrnehmen könntest. Versuche deshalb offen und vorurteilsfrei auf andere Menschen zuzugehen.

Hinterfrage das Verhalten anderer Mitgefühl bedeutet unter anderem, die Gründe für das Verhalten anderer zu verstehen. Frage deshalb häufiger nach: «Warum machst Du das so?», «Warum ist Dir das wichtig?», «Wie triffst Du Deine Entscheidungen?». Achte darauf, dass Deine Fragen nicht übergriffig oder vorwurfsvoll, sondern neugierig klingen. Wenn Dein Gegenüber bereit ist Dir zu antworten, wirst du viele wichtige Dinge über Dein Gegenüber lernen und vieles besser verstehen. Selbstverständlich kann man wie gewohnt auch sein Höheres Selbst, das Inneres Kind, das Ego etc. zur Unterstützung anfragen.

Lerne Deine eigenen Gefühle kennen Wenn Du Deine eigenen Gefühle nicht wahrnehmen und einordnen kannst, ist es fast unmöglich, die Gefühle anderer zu erkennen. Beginne deshalb bei Dir selbst: Beobachte Deine Gefühlsregungen und versuche, die Auslöser dafür zu erkennen. Wie zeigen sich deine Gefühle nach Aussen? Die Chance ist gross, dass sich die Emotionen bei anderen Menschen ähnlich äussern (Spiegelung). Im nächsten Schritt kannst Du Dich fragen: Was brauche ich in bestimmten Situationen? Natürlich können die Bedürfnisse eines anderen Menschen sich deutlich von Deinen unterscheiden. Aber Du kannst dadurch besser für Dich selbst sorgen, und das ist eine wichtige Basis für Mitgefühl.

Beobachte Dein Umfeld Ein wacher Blick ist entscheidend für die Entwicklung von Empathie. Nimm bewusst wahr, wie andere sich verhalten. Wenn Du möchtest, setze Dich einfach mal eine Stunde lang in ein belebtes Café und beobachte, wie sich die Menschen verhalten. Wie begrüssen sie sich? Was tun sie? Was verrät ihre Körpersprache? Versuche, Rückschlüsse darauf zu ziehen, wie es den Menschen geht, die du beobachtest. Mit ein wenig Übung wirst Du viele Zeichen sehen, die Du interpretieren kannst. Natürlich sollte Dir klar sein, dass Du Dich dabei auch irren kannst.

Zeige Interesse an anderen Sich für andere zu interessieren, ist ganz eng mit Mitgefühl verbunden. Erkundige Dich deshalb mit echtem Interesse, wie es anderen geht, was sie gerade bewegt, was sie gerne mögen und was sie ablehnen. Lerne Deine Mitmenschen besser kennen, dann fällt es Dir auch viel leichter, Dich in sie hineinzuversetzen. Wichtig ist aber: Du solltest nie Interesse heucheln. Frage nach, wenn Dich etwas tatsächlich interessiert.

Lerne Mitgefühl von anderen Sicher kennst Du Menschen, denen es leichtfällt, sich in andere hineinzuversetzen. Bitte einen solchen Menschen, Dich bei deinem Bemühen um bessere Empathie oder mehr Mitgefühl zu unterstützen. Unterhaltet euch über die Situationen, die euch begegnen und über passende Reaktionen. Vielleicht möchte diese Person Dich bei Deiner Übung ins Café begleiten und Dir Rückmeldungen darüber geben, ob die Signale der anderen Menschen ähnlich interpretiert werden.

Versuche, zwischen den Zeilen zu lesen Was andere Menschen sagen, ist nur ein kleiner Teil der eigentlichen Botschaft. Vieles bleibt unausgesprochen, ist aber ebenso Teil der Kommunikation. Versuche Informationen zu erkennen, die zwischen den Zeilen stehen. Dazu ist es hilfreich, vor dem Reagieren einen Moment innezuhalten und nachzudenken. Wenn Du Dir nicht sicher bist, ob Du eine unausgesprochene Botschaft richtig verstanden hast, dann frag einfach nach.

Umgib Dich mit unterschiedlichen Menschen Je mehr unterschiedliche Menschen Du kennst, umso leichter fällt es Dir, offen zu sein und auch Lebenskonzepte zu verstehen, die sich stark von Deinem unterscheiden. Du kannst leichter die Träume, Gefühle und Probleme bestimmter Personengruppen und -typen nachvollziehen, wenn Du sie auch kennst. Versuche deshalb, über den Tellerrand zu schauen und Dich mit Menschen zu umgeben, die Dir bisher eher fremd waren. Sehr hilfreich können auch (auto-)biografische Bücher, Filme oder Reportagen sein, die Dir einen neuen Blick eröffnen.

Versetze Dich in andere Rollen Theaterspielen ist ein hilfreiches Hobby, wenn es darum geht, Mitgefühl und Empathie zu lernen. Auf der Bühne (auch beim Familienstellen) musst Du Gefühle überzeugend darstellen, und dazu gehört eine tiefe Beschäftigung mit der Frage, woran man diese Gefühle erkennt? Das hilft dir auch im wirklichen Leben. Sei nachsichtig mit anderen.

Mitgefühl hilft, Ärger zu reduzieren Sich über andere Menschen aufzuregen, passiert allzu schnell. Was wir dabei leicht übersehen: Meistens stecken Gründe hinter dem nervigen Verhalten der anderen. Vielleicht muss die Kollegin, die immer ein paar Minuten zu spät kommt, so viele Alltagsaufgaben bewältigen, dass diese kaum zu organisieren sind. Vielleicht hat sie gerade noch einen wichtigen Anruf bekommen oder ihr Kind ist krank und sie musste die Betreuung klären. Vielleicht geht es ihr selbst gesundheitlich nicht gut und die Alltagsthemen rauben ihr viel Kraft. Vielleicht ist ihr aber auch einfach nicht klar, dass Du die Unpünktlichkeit als unhöflich und anstrengend empfindest. In den meisten Fällen kannst Du nicht wissen, was wirklich hinter einem Verhalten steckt. Sich das klarzumachen, ist eine wichtige Erkenntnis. Und auch Du selbst lebst viel entspannter, wenn Du nachsichtiger mit anderen Menschen bist und erst einmal davon ausgehst, dass es sicher (gute) Gründe für ihr Verhalten gibt.

Achte auf Deinen eigenen Energiehaushalt Empathie und Mitgefühl sind wichtige Fähigkeiten, die auch Gefahren in sich bergen: Achte darauf, Dich selbst nicht zu überfordern. Wenn Du Dich zu sehr anderen zuwendest, kann es passieren, dass Du Dich selbst aus den Augen verlierst. Seit deshalb aufmerksam mit Dir selbst und ziehe Dich ein Stück zurück, wenn Dir die emotionale Nähe zu anderen Menschen zu viel wird.

Trenne zwischen eigenen und fremden Gefühlen Wenn Du lernst, die Gefühle von anderen wahrzunehmen, löst das auch bei Dir selbst Gefühle aus. Das ist völlig normal, kann aber manchmal auch schwierig werden: Nicht immer ist es eindeutig zu erkennen, ob Du nun Deine eigenen Gefühle empfindest oder die von anderen spiegelst. Das macht aber einen gewaltigen Unterschied. Beobachte Dich deshalb selbst und hinterfrage vor allem plötzlich auftretende Gefühle. Sind es wirklich die eigenen?

Wahre die nötige Distanz Empathie und Mitgefühl haben Grenzen. Achte darauf, anderen ihren persönlichen Raum zu lassen. Niemand möchte von einem flüchtigen Bekannten mit Mitgefühl, Lösungsvorschlägen und Ratschlägen überschüttet werden. Und nicht jeder möchte über die eigenen Gefühle sprechen. Sei sensibel dafür, was Dein Gegenüber braucht und ziehe Dich allenfalls rechtzeitig zurück.

Nimm Dir Zeit für diesen Prozess Empathie und Mitgefühl sind komplexe Fähigkeiten, die man zwar lernen kann, die aber einiges an Training braucht. Sei deshalb geduldig mit Dir. Wer behauptet, Dich in wenigen Tagen oder Wochen zu einem hochempathischen Menschen zu machen, ist nicht ehrlich mit Dir. Ein solcher Prozess ist nur Schritt für Schritt zu bewältigen. Lass Dir Zeit und geniesse die einzelnen Schritte auf dem Weg zu mehr Mitgefühl.

Text von Silvia Stäubli

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